Kennt Ihr dieses Gefühl auch? Ich möchte mich heute einfach in Luft auflösen
Eigentlich bin ich ein glücklicher Mensch – einer, der in den kleinsten Dingen das Schöne sehen und anderen von dieser positiven Energie abgeben kann, aber manchmal da bricht alles über mich herein und ich möchte mich einfach nur in Luft auflösen – den ganzen Scheiß hier zurücklassen. Nur Brad würde ich mitnehmen; ich liebe den kleinen Kerl wie mein Kind und könnte ihn niemals alleine zurücklassen, in dem Wissen nicht mehr für ihn da zu sein, wo doch ich der Mensch bin, den er in seinem kleinen Leben am meisten liebt.
Vielleicht sollte mich dieser Gedanke allein schon wieder hochziehen. Aber unter meiner dunklen Wolkendecke kommt mir nur die Frage „wie lange noch“ diese zerbrechliche Liebe da sein wird, bevor das Unvermeidliche uns einholt. Ich merke ich verliere mich gerade ein wenig … typisch Frau, von einem Gedanken in den nächsten rutschend – würde mein Mann mir jetzt sagen.
Vor zwei Jahren hatte ich mir geschworen genau diesem Gefühl „sich in Luft auflösen zu wollen“ nie mehr Platz in meinem Leben zu geben – wollte nie mehr zulassen, dass es mich überkommt. Wollte nur noch leben, wie es mich glücklich macht und alles aus dem Weg schaffen, was mich davon abzubringen vermag. Momentan stecke ich aber wieder in genau dem selben Sumpf von Gefühlen der Ohnmacht, wie vor meiner Krankheit.
Ich hatte mir selbst versprochen, mich wichtig zu nehmen, in mich rein zu hören, wenn ich merke „so geht es nicht weiter“ und nun stehe ich wieder vor dem selben Dilemma. Bestimmte Dinge sind nicht aufgearbeitet, hatten nur Pause und werden jetzt wieder präsent. Wenn man nicht nur beschäftigt ist zu überleben, kommen die Fragen, die man sich zu seinem Leben und dessen Sinnhaftigkeit stellt, ganz von alleine wieder hoch – vorallem wenn sie eben noch nicht gelöst sind, sondern genauso aktuell das Leben belasten wie zuvor.
„Zur Wiederauflage“, erzählte mir eine nette Frau während wir die langen Chemo-Sitzungen absolvierten, kommen die Dinge immer wieder, die man nicht wirklich abgearbeitet hat in seinem Leben. Wer etwas nur verdrängt, bekommt es später wieder aufgetischt. In meinem Leben gibt es Einiges, was sich durch die lange Zeit der Krebs-Therapie anscheinend nur in den hinteren Schubladen in meinem Kopf ablegte, weil damals dafür keine freien Kapazitäten zu deren Lösung zur Verfügung standen und das menschliche Gehirn dies wohl aus Selbstschutz heraus so zu lösen vermag.
Ich fühlte mich, als ich Mitte letzten Jahres wieder gesund war, wie ein neuer Mensch. Ein Mensch, der alles hinter sich gelassen hat an dummen Alltags- und Beziehungs-Problemen – ich schien mit allem im Reinen zu sein und meinen Frieden mit mir und allen Dämonen gefunden zu haben. Ich war überzeugt, bei mir kann nichts „zur Wiederauflage“ kommen!
Heute muss ich feststellen, dass mich einige Dämonen erneut einholen, Gefühle und Alltagsprobleme, die sich eben nicht durch die Krankheit und meinen Sieg über diese in Luft auflösten. Ich bin die Selbe geblieben und muss mich meinen Ängsten, Kämpfen und Wahrheiten stellen – nichts verschwindet ohne Aufarbeitung einfach nur so, durch die Nichtbeachtung derselbigen.
Ich muss mich also erneut dem Leben stellen und habe vor, mich nicht durch Fremdeinwirkung verbiegen zu lassen. Und was sich für mich richtig anfühlt, das ist es auch und was mich verletzt, darf ich auch mitteilen (selbst wenn es den ein oder anderen in seiner Komfortzone stört) und gegebenenfalls auch entfernen, bevor es mich krank macht – ich bin mir und meinem Leben schuldig, diese Gefühle für mich anzunehmen und meinen Selbstschutzwall zur richtigen Zeit mit allen Mitteln, die mir zur Verfügung stehen, aufzubauen! Damit ich einen sicheren, geschützten Hafen in mir selbst verspüre, wenn die dunklen Wolken kommen …
Vielleicht ärgere ich mich morgen, dass ich es heute brauchte, dies so ehrlich zu veröffentlichen, um wieder Halt für mich zu finden – aber ich denke, so ist eben das Leben! Nach Sonnenschein kommt Regen – bei mir heute Gewitter – und danach bestimmt auch wieder Sonne. Wichtig ist nur, der Sonne eine Möglichkeit zu geben wieder durch die Wolken scheinen und sie mit ihrer Wärme im Anschluss ganz auflösen zu können!
2. Juni 2016 @ 15:16
Liebe Claudia, den ersten Schritt hast du doch schon getan. Wenn man
seinen Kummer ausgesprochen hat, ist er nur noch halb so schmerzlich, bzw. er ist
beim Namen genannt worden und kann sich nicht mehr im Hinterzimmer verstecken.
Dann fängt man (wieder) an aufzuräumen. Dieses Muster ist mir auch bekannt, aber
wir sollten ihm keine Chance geben, es sich bei uns gemütlich zu machen.
Ich schicke dir einen Sonnenstrahl…:-)
liebe Grüße von Katja
2. Juni 2016 @ 16:12
Liebe Katja,
ich bin so gerührt von Deinen und überhaupt allen lieben Worten, die bei mir eintrafen!
Danke, von ganzem Herzen! ❤️
Und Du hast recht, heute beginne ich, trotz starker Migräne, mit der „Aufräumarbeit“ im Kopf und im realen Leben.
Sonnenstrahl ist angekommen! ;-)
2. Juni 2016 @ 13:17
Liebe Claudia,
ich lese z. Zt. das Buch „Die Macht der Kränkung“ von Reinhard Haller. Wenn ich es gelesen habe, leihe ich es dir. Kann noch ein bisschen dauern, denn ich bin keine Schnelleserin. Was Gerda schreibt – vergeben – finde ich auch wichtig. Wenn es gelingt, kann ich die Luft, in die ich mich auflösen wollte, wieder leichter atmen.
Ich wünsche dir ein Wochenende zum Erholen!
LG Hanni
2. Juni 2016 @ 16:06
Vielen lieben Dank, Hanni. ❤️
Dir auch ein schönes Wochenende.
Heute atmet es sich schon wieder ein klein wenig leichter …
1. Juni 2016 @ 18:43
Ach, liebe Claudia, die Sonne wird wieder kommen! Auch wenn der Himmel im Moment so grau erscheint. Irgendwo am Horizont wird der Himmel wieder etwas heller…und morgen blitzen bestimmt wieder ein paar Sonnenstrahlen hervor!!!!!!!
Ich weiß nicht, ob man immer alles aufarbeiten kann. Wenn man seelisch verletzt worden ist hilft es vielleicht zu vergeben…??? Kann man Trauer aufarbeiten? Den so plötzlichen Tod eines sehr geliebten Menschen…? Ich merke gerade, meine Gedanken machen Purzelbäume…
Manchmal hilft es wirklich eine Nacht drüber zu schlafen…oder so wie Du jetzt sich alles von der Seele zu schreiben.
Ich wünsche Dir alles Liebe…denke an Dich und drücke Dich in Gedanken ♥
Deine Gerda
1. Juni 2016 @ 18:49
Manchmal sind Menschen, die so weit weg scheinen, doch ganz nah!
Ganz nah im Herzen! Danke, Gerda! ❤️
Ich weiß Euer aller Worte soooo sehr zu schätzen!
1. Juni 2016 @ 18:11
Liebe Claudia,
du „darfst“ das alles sagen und ausdrücken. Es tut gut über Dinge, die einem durch den Kopf gehen zu sprechen. Unausgesprochenes, das man einfach nur verdrängt oder aber komplett unter den Tisch kehrt, das wird einen immer wieder einholen.
Gelesen habe ich hier über deine Krankheit. Mir selber ist bis heute eine belastende Krankheit erspart geblieben. Natürlich kann das immer noch kommen, aber ich denke nicht täglich darüber nach. Auch die Lebenszeit wird in meinem Alter (67) normalerweise einfach kürzer, darüber denke ich auch nicht täglich nach. Meine Tage sind sehr ausgefüllt. Und ich bin kein verhuschtes Mütterlein.
Was ich allerdings getan habe – ich habe „aufgeräumt“, d. h. in meinem Fall und es mag arrogant klingen: Menschen, die sich immer an mich erinnern, wenn sie etwas „brauchen“, und die mich somit ziemlich belasten, die habe ich konsequent aussortiert. Und du wirst es kaum glauben, aber es war und ist sehr befreiend. Man muss das nur erkennen. Und – ich vermisse sie nicht. Und ich bin immer sehr ehrlich, das vertragen auch nicht alle, ich schon.
Mag sein, dass dich morgen ärgert, was du heute hier geschrieben hast. Braucht es nicht! Bleib einfach wie du eben bist.
Herzliche Grüße, Edith
1. Juni 2016 @ 18:31
Danke, Edith, von ganzem Herzen ❤️